Samstag, 5. Juli 2014
Ende
Nun ist unsere Zeit in Berlin vorbei. Es war sehr rührend, wie wir von der Gemeinde und von den einzelnen Arbeitsstellen verabschiedet wurden. Wir haben wirklich das Gefühl, Freunde gewonnen zu haben. Nun sind wir wieder in der Schweiz angekommen und das ohne grosse Überraschungen zu erleben. Ich bin dankbar für die vergangenen drei Monate: All den Menschen, die uns diese Zeit ermöglicht haben, all den Menschen, die uns in dieser Zeit begegnet sind und unserem grossen Gott, der uns begleitet hat.
Nun werde ich den Ertrag sichten und sichern. Nun werde ich die Bilder ordnen und speichern. Nun werde ich die Erkenntnisse übersetzen und einsetzen. Ich hoffe, dass ich die "Berlinerfrüchte" hier verteilen kann.
Freitag, 4. Juli 2014
Verdichtete Erkenntnis
Zwei wichtige Sätze aus meinem Tagebuch:
Die Säuberungen gelingen nicht: Bücherverbrennung, entartete Kunst, Juden, Homosexuelle, Fremde, Geldgierige, Ausländer, Arbeitslose, Obdachlose, Geisteskranke, Kriminelle, Sünder,…
Heute habe ich im Jugendgästehaus eine Türe die repariert worden ist, frisch gestrichen.
Donnerstag, 3. Juli 2014
Ambulanz
Ambulanz der Caritas beim Bahnhof Zoo
Besichtigung der Ambulanz im Zentrum der Stadtmission: Helle, neue Räume. Hier sind Ärzte tätig, von denen einige auf ehrenamtlicher Basis arbeiten. Patienten sind Menschen ohne Krankenkasse und ohne Möglichkeit eine Behandlung im regulären Gesundheitswesen zu bekommen. Eine Krankenschwester ist von der Stadtmission angestellt. Finanziert wird die Einrichtung durch die DB und Vattenfall. Die Statistik zeigt, dass 50% der Diagnosen die Haut betreffen. Hier gibt es Medikamentenabgabe, Verbandswechsel, Schmerzbehandlungen. Patienten können/sollen vor der Behandlung duschen. Es können kleinere diagnostisch-technische Massnahmen wie zum Beispiel EKG's durchgeführt werden.
Der Staat delegiert viel Sozialarbeit an kirchliche Institutionen. Die Caritas (katholisch) und die Diakonie (evangelisch) zusammen bezahlen in Deutschland fast eine Million Stellen im sozialen Bereich.
Besichtigung der Ambulanz im Zentrum der Stadtmission: Helle, neue Räume. Hier sind Ärzte tätig, von denen einige auf ehrenamtlicher Basis arbeiten. Patienten sind Menschen ohne Krankenkasse und ohne Möglichkeit eine Behandlung im regulären Gesundheitswesen zu bekommen. Eine Krankenschwester ist von der Stadtmission angestellt. Finanziert wird die Einrichtung durch die DB und Vattenfall. Die Statistik zeigt, dass 50% der Diagnosen die Haut betreffen. Hier gibt es Medikamentenabgabe, Verbandswechsel, Schmerzbehandlungen. Patienten können/sollen vor der Behandlung duschen. Es können kleinere diagnostisch-technische Massnahmen wie zum Beispiel EKG's durchgeführt werden.
Der Staat delegiert viel Sozialarbeit an kirchliche Institutionen. Die Caritas (katholisch) und die Diakonie (evangelisch) zusammen bezahlen in Deutschland fast eine Million Stellen im sozialen Bereich.
Mittwoch, 2. Juli 2014
Kleine Erlebnisse in Berlin
Altkleider sortieren. Die Bettwäsche in Originalverpackung und mit dem Kassenbon stammt noch aus der DDR-Zeit. Der Preis ist der „EVP“ – der Endverbraucherpreis.
Vor dem Baumarkt versucht ein Kunde mit einem Stück Karton die Farbe vom Boden zusammen zu wischen, die ihm vom Einkaufswagen gefallen ist.
Im Hauptbahnhof in einer Nische steht Daniel. Er ist barfuss und mit Lumpen bekleidet. Er hat eigentlich Hausverbot. Aber keine Institution kann oder will ihn aufnehmen. Manchmal fragen Passanten, ob man dem nicht helfen könne. Nein, man kann ihm nicht helfen. Er hat das Recht so zu leben und er will es auch. Als ich ihn ansprach, wich er sofort aus und sagte: „Nein, also, das geht mir jetzt zu weit.“
Mitten im Feierabendgedränge huscht ein junger Mann mit Kapuze tief über den Kopf gezogen an mir vorbei. Dann sehe ich, dass er nur in Strümpfen, ohne Schuhe unterwegs ist. Und so steht er auf die Rolltreppe und verschwindet.
Wir sind als Touristen unterwegs. Am Bahnhof Alexanderplatz spricht mich ein junger Mann an und fragt mich, ob ich ihm etwas zu Essen und oder Geld hätte. Ich antworte ihm, dass er bei der Bahnhofsmission etwas zu Essen bekäme. Er fragt mich, wo das denn wäre und ich sage ihm am Bahnhof Zoo. An seiner Reaktion merke ich, dass er das durchaus kennt…
Bevor ich die S-Bahn besteige, sehe ich, dass jemand das Kippfenster im Abteil neben der Tür öffnet. Ich denke mir nichts dabei – ja, es ist ein heisser Tag heute. Ich steige ein. Die Türen schliessen sich und ein Mann zwängt sich im letzten Augenblick noch herein. Doch ich sehe, dass er einen Brief draussen auf dem Perron verloren hat. Was nun? Die Türen lassen sich nicht mehr öffnen. Doch noch bevor der Zug losfährt, ergreift draussen jemand diesen Brief und wirft ihn durch das geöffnete Kippfenster zu uns herein.
Zwei Stimmen in der S-Bahn: „Nächste Station – Bellevue.“ „Entschuldigen Sie. Die Situation der Obdachlosen ist sehr schlimm und ich bitte sie um eine Spende.“ Die Reaktion der Fahrgäste: Keiner steigt aus, keiner steigt ein. Bellevue – schöne Aussichten.
Auf dem Weg zur Arbeit werde ich in der Nähe des Hauptbahnhofes von einem Velofahrer angesprochen. Er sei zwar Berliner aber er wisse überhaupt nicht mehr, wie er von hier zum Potsdamer Platz komme. Ob ich ihm helfen könne? Ja, ich konnte.
Dienstag, 1. Juli 2014
Erlebnisse am Bahnhof Zoo
Der Bahnhof
Der Bahnhof Zoo ist ein düsteres, altes, verwinkeltes Gebäude. Die Menschen verweilen hier kaum. Sie huschen geduckt über diesen ockerbraun gemusterten Fliesenboden. Eine Schulklasse mit zwei Lehrerinnen steigt in Einerkolonne die Treppe hoch. Es herrscht eine Grundstimmung von Misstrauen, Angst und Vorsicht. In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs ist die Finanzwelt mit Banken, Lifstylegeschäften und grossen Hotels vertreten. Die Gegensätze erzeugen eine Spannung, denn da entstehen grosse Fragen: Warum und woher diese Unterschiede? Ist Reichtum und Armut menschengemacht oder gottgegeben?
Kleiderspenden
Um 18.00 Uhr fährt die Polizei mit einem Lieferwagen bei der Bahnhofsmission vor und bringt Kleider und Schuhe, die sie gesammelt haben. Überhaupt werden viele Kleider abgegeben. Heute Nachmittag waren es rund 15 110lt Säcke. Die Obdachlosen dürfen sich dann davon Kleider gratis abholen.
Obdachlos
Da kommt ein junger Mann an Krücken. Er hat das Bein gebrochen. Seine Frau habe ihn aus der Wohnung geschmissen und er wisse nicht wo schlafen. Wir geben ihm zu trinken und eine Adresse.
Die Mitarbeiter
Zehn bezahlte Mitarbeiter sind in der Bahnhofsmission Zoo tätig. Sie werden von 125 Ehrenamtlichen unterstützt. Diese sind zwischen 14 und 80 Jahr alt. Eine bunte Mischung von verschiedensten Persönlichkeiten und Lebensgeschichten. Dazu kommen noch 50 Beschäftigte die im Programm „Arbeit statt Strafe“ sind.
Ehrenamtliche
Ein ehrenamtlicher Helfer ist der pensionierte Architekt. Im Sommerhalbjahr macht er Segeltörns im Mittelmeer mit seiner Jacht und im Winterhalbjahr hilft er pro Woche dreimal aus. Als sein älterer Sohn 25 Jahre alt war, hat sich dieser den goldenen Schuss gegeben. Das war in der Zeit, als sie sich als Eltern trennten.
Pen von Honkong arbeitet in einer nahegelegenen Bank. In seiner Mittagspause kommt er zweimal in der Woche in die Bahnhofsmission und hilft ¾ Std. mit. Er spricht noch wenig deutsch.
Cornelia kommt spontan bei der Bahnhofsmission vorbei: Sie feiert heute ihren 60ten Geburtstag und möchte diesen Tag mit Arbeiten in der Bahnhofsmission verbringen. Ihr Bruder war Millionär und ist abgestürzt, soweit, dass er im vergangenen Jahr starb.
Er ist Dozent an der Hochschule für angewandte Kunst. Er ist Berliner und wenn er Zeit hat, arbeitet er als Ehrenamtlicher in der Bahnhofsmission. Er mache das, damit er wieder auf die Erde komme. In seinem Beruf hebe man oft ab und sei in einer ganz anderen, unwirklichen Welt. Hier werde man geerdet.
Ein ehrenamtlicher Helfer kommt ursprünglich aus Südamerika, hat in Russland Medizin studiert (Viszeralchirurgie und plastische Chirurgie) und versucht schon seit zwei Jahren die Zulassung in Deutschland zu bekommen. In dieser Zeit schlägt er sich mit Jobs durch. Zur Zeit bewirbt er sich als Rettungssanitäter.
Ein anderer Mitarbeiter: Arbeit statt Strafe. Seit über 30 Jahren Lastwagenfahrer. War schon überall in Europa. Sei einige Male betrunken gefahren. Aber es habe ihn erst auf einem Rastplatz erwischt. Da wurde er kontrolliert und hatte Alkohol im Blut. Für ein Jahr Ausweisentzug. Und jetzt 16 Std. Arbeit in der Bahnhofsmission um die Busse abzuarbeiten.
Pfefferspray
In einer Kleiderspende findet ein Mitarbeiter einen Pfefferspray und probiert gleich aus, ob er funktioniert. Die Wirkung war dermassen stark, dass alle Anwesenden im Raum husten mussten und mit tränenden Augen ins Freie flüchteten. Der Betrieb war einige Zeit unterbrochen und man musste kräftig lüften.
Dem Ende zu
Er ist Alkoholiker, hat Depressionen, ist obdachlos. Er hat 30 Euro und eine defekte Kreditkarte in der Tasche und er habe alle Freunde und Angehörige verloren, sind gestorben. Die Freundin hat sich vor Jahren den goldenen Schuss gesetzt, Mutter ist aus 28 Meter Höhe beim Putzen in die Tiefe gestürzt. Der Vater ist an Krebs gestorben. Beide seiner Kinder sind tot. Er hat einen schweren Leberschaden. Aszites. Sollte sich im Spital behandeln lassen. Die Bahnhofsmission vermittelt den Beistand und fährt ihn dorthin. Dann gings weiter ins Spital. Der Betreuer der Bahnhofsmission war bis um 02.30 Uhr mit ihm im Spital. Es wurde unter anderem auch noch eine Gallenblasenentzündung diagnostiziert.
Der Bus endet hier
Kathi, eine schwer kranke Obdachlose, läuft immer mit einem sichtbaren Urinschlauch rum. Da fährt der Bus der 200er Linie vor, hält beim Eingang zur Bahnhofsmission und Kathi steigt da aus! Am Bus steht: „Der Bus endet hier“. (während meiner Zeit in Berlin wurde die Anzeige an den Bussen auf "Fahrt endet hier" geändert).
Kinderreich
Eine Familie (?) steht plötzlich vor der Tür: Drei Erwachsene und elf Kinder. Einige Kinder noch sehr klein. Sie sind offenbar obdachlos. Sprechen Polnisch und wollen irgendwie Aufenthalt in Berlin (Polnische Bürger haben kein Asylrecht in Deutschland). Wir verpflegen sie und melden sie bei der Kinderschutzbehörde. Dorthin gehen sie dann auch.
Einzelfallbetreuung
Am Vormittag durfte ich mit einem Mitarbeiter in zwei Heimen drei Klienten von der Einzelfallbetreuung besuchen. Ein altes Pärchen, kognitiv stark eingeschränkt, bekommt vom Heim je 20 Euro Taschengeld ausgehändigt. Die Frau setzt es gleich in Zigaretten um, der Mann wird Alkohol kaufen. Sie wollen weg aus dem Heim, wieder auf die Strasse, einfach nur weg. Zwei Minuten später wollen sie wieder bleiben und zwei Minuten später wieder abhauen – so geht das hin und her. Im andern Heim besuchen wir T.. Via Frankfurt hat er wieder hierher gefunden. Sieht jetzt gepflegt aus, war gar beim Frisör. Wir bringen ihm für 7 Tage Bier: 52 Flaschen. Er darf, durch die Pflege kontrolliert, ein gewisses Mass trinken. Er erscheint aber immer noch depressiv und weiss nicht wie weiter. Er wird von einer Psychologin betreut (die wenig Zeit habe). Ziel ist, das T. seine, wahrscheinlich nur noch kurze, Lebenszeit unter guten Bedingungen verbringen darf und nicht draussen irgendwo auf einer Bank tot aufgefunden wird. Er hat Schulden. Gewisse Massnahmen zur Ordnung seiner Finanzen wurden getroffen, einige Zuständigkeiten geklärt. Kein Amt und keine Stelle würde sich um diese Menschen kümmern, wenn es nicht die Bahnhofsmission gäbe. Sie fallen aus dem sozialen Raster dieser Gesellschaft.
Bundeswehrkrankenhaus
Ein junger polnischer Mann kommt kurz vor Feierabend in die Bahnhofsmission. Er stöhnt vor Schmerzen und zeigt auf seinen linken Arm. Der ist ganz geschwollen und gerötet. Er spricht aber kein Deutsch und wir versuchen ihm zu erklären, dass er ins Bundeswehrkrankenhaus gehen sollte. Da er nicht begriff wo das sein könnte, habe ich ihn dann dahin begleitet. Sehr freundliche und speditive Aufnahme in der Notfallstation (die Ärzte in weisser Uniform mit Achselplatten).
Glauben an Gott
Ich spreche mit einem Gast, draussen an der Sonne. Wir kommen auf geistliche Dinge zu sprechen. Er brauche keinen Glauben an Gott. Sicher, etwas Höheres gäbe es schon. Aber das Christentum ist wie alle Religionen nur ein menschlicher Versuch, mit all dem klarzukommen. Er brauche keine Kirche die ihm vorschreibe wie er zu leben habe. Ich kann ihm annähernd etwas von dem sagen, was ich alles von Gott und meinem Glauben an Jesus habe. Wir werden dann unterbrochen. Aber ich denke: Mosaiksteinchen bilden ein ganzes Bild – heute hat er ein neues Steinchen erhalten.
Beten
Eine 17jährige Mitarbeiterin sagt als Witz, dass ich für sie beten soll. Ich gehe ernsthaft auf sie ein und frage sie für was ich denn konkret beten soll. Sie weiss es nicht so recht und sagt dann „für Glück“. Wir stehen am Spültrog und ich bete für sie und ihr „Glück“. Sie bedankt sich – leicht verstört und berührt.
Der Bahnhof Zoo ist ein düsteres, altes, verwinkeltes Gebäude. Die Menschen verweilen hier kaum. Sie huschen geduckt über diesen ockerbraun gemusterten Fliesenboden. Eine Schulklasse mit zwei Lehrerinnen steigt in Einerkolonne die Treppe hoch. Es herrscht eine Grundstimmung von Misstrauen, Angst und Vorsicht. In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs ist die Finanzwelt mit Banken, Lifstylegeschäften und grossen Hotels vertreten. Die Gegensätze erzeugen eine Spannung, denn da entstehen grosse Fragen: Warum und woher diese Unterschiede? Ist Reichtum und Armut menschengemacht oder gottgegeben?
Kleiderspenden
Um 18.00 Uhr fährt die Polizei mit einem Lieferwagen bei der Bahnhofsmission vor und bringt Kleider und Schuhe, die sie gesammelt haben. Überhaupt werden viele Kleider abgegeben. Heute Nachmittag waren es rund 15 110lt Säcke. Die Obdachlosen dürfen sich dann davon Kleider gratis abholen.
Obdachlos
Da kommt ein junger Mann an Krücken. Er hat das Bein gebrochen. Seine Frau habe ihn aus der Wohnung geschmissen und er wisse nicht wo schlafen. Wir geben ihm zu trinken und eine Adresse.
Die Mitarbeiter
Zehn bezahlte Mitarbeiter sind in der Bahnhofsmission Zoo tätig. Sie werden von 125 Ehrenamtlichen unterstützt. Diese sind zwischen 14 und 80 Jahr alt. Eine bunte Mischung von verschiedensten Persönlichkeiten und Lebensgeschichten. Dazu kommen noch 50 Beschäftigte die im Programm „Arbeit statt Strafe“ sind.
Ehrenamtliche
Ein ehrenamtlicher Helfer ist der pensionierte Architekt. Im Sommerhalbjahr macht er Segeltörns im Mittelmeer mit seiner Jacht und im Winterhalbjahr hilft er pro Woche dreimal aus. Als sein älterer Sohn 25 Jahre alt war, hat sich dieser den goldenen Schuss gegeben. Das war in der Zeit, als sie sich als Eltern trennten.
Pen von Honkong arbeitet in einer nahegelegenen Bank. In seiner Mittagspause kommt er zweimal in der Woche in die Bahnhofsmission und hilft ¾ Std. mit. Er spricht noch wenig deutsch.
Cornelia kommt spontan bei der Bahnhofsmission vorbei: Sie feiert heute ihren 60ten Geburtstag und möchte diesen Tag mit Arbeiten in der Bahnhofsmission verbringen. Ihr Bruder war Millionär und ist abgestürzt, soweit, dass er im vergangenen Jahr starb.
Er ist Dozent an der Hochschule für angewandte Kunst. Er ist Berliner und wenn er Zeit hat, arbeitet er als Ehrenamtlicher in der Bahnhofsmission. Er mache das, damit er wieder auf die Erde komme. In seinem Beruf hebe man oft ab und sei in einer ganz anderen, unwirklichen Welt. Hier werde man geerdet.
Ein ehrenamtlicher Helfer kommt ursprünglich aus Südamerika, hat in Russland Medizin studiert (Viszeralchirurgie und plastische Chirurgie) und versucht schon seit zwei Jahren die Zulassung in Deutschland zu bekommen. In dieser Zeit schlägt er sich mit Jobs durch. Zur Zeit bewirbt er sich als Rettungssanitäter.
Ein anderer Mitarbeiter: Arbeit statt Strafe. Seit über 30 Jahren Lastwagenfahrer. War schon überall in Europa. Sei einige Male betrunken gefahren. Aber es habe ihn erst auf einem Rastplatz erwischt. Da wurde er kontrolliert und hatte Alkohol im Blut. Für ein Jahr Ausweisentzug. Und jetzt 16 Std. Arbeit in der Bahnhofsmission um die Busse abzuarbeiten.
Pfefferspray
In einer Kleiderspende findet ein Mitarbeiter einen Pfefferspray und probiert gleich aus, ob er funktioniert. Die Wirkung war dermassen stark, dass alle Anwesenden im Raum husten mussten und mit tränenden Augen ins Freie flüchteten. Der Betrieb war einige Zeit unterbrochen und man musste kräftig lüften.
Dem Ende zu
Er ist Alkoholiker, hat Depressionen, ist obdachlos. Er hat 30 Euro und eine defekte Kreditkarte in der Tasche und er habe alle Freunde und Angehörige verloren, sind gestorben. Die Freundin hat sich vor Jahren den goldenen Schuss gesetzt, Mutter ist aus 28 Meter Höhe beim Putzen in die Tiefe gestürzt. Der Vater ist an Krebs gestorben. Beide seiner Kinder sind tot. Er hat einen schweren Leberschaden. Aszites. Sollte sich im Spital behandeln lassen. Die Bahnhofsmission vermittelt den Beistand und fährt ihn dorthin. Dann gings weiter ins Spital. Der Betreuer der Bahnhofsmission war bis um 02.30 Uhr mit ihm im Spital. Es wurde unter anderem auch noch eine Gallenblasenentzündung diagnostiziert.
Der Bus endet hier
Kathi, eine schwer kranke Obdachlose, läuft immer mit einem sichtbaren Urinschlauch rum. Da fährt der Bus der 200er Linie vor, hält beim Eingang zur Bahnhofsmission und Kathi steigt da aus! Am Bus steht: „Der Bus endet hier“. (während meiner Zeit in Berlin wurde die Anzeige an den Bussen auf "Fahrt endet hier" geändert).
Kinderreich
Eine Familie (?) steht plötzlich vor der Tür: Drei Erwachsene und elf Kinder. Einige Kinder noch sehr klein. Sie sind offenbar obdachlos. Sprechen Polnisch und wollen irgendwie Aufenthalt in Berlin (Polnische Bürger haben kein Asylrecht in Deutschland). Wir verpflegen sie und melden sie bei der Kinderschutzbehörde. Dorthin gehen sie dann auch.
Einzelfallbetreuung
Am Vormittag durfte ich mit einem Mitarbeiter in zwei Heimen drei Klienten von der Einzelfallbetreuung besuchen. Ein altes Pärchen, kognitiv stark eingeschränkt, bekommt vom Heim je 20 Euro Taschengeld ausgehändigt. Die Frau setzt es gleich in Zigaretten um, der Mann wird Alkohol kaufen. Sie wollen weg aus dem Heim, wieder auf die Strasse, einfach nur weg. Zwei Minuten später wollen sie wieder bleiben und zwei Minuten später wieder abhauen – so geht das hin und her. Im andern Heim besuchen wir T.. Via Frankfurt hat er wieder hierher gefunden. Sieht jetzt gepflegt aus, war gar beim Frisör. Wir bringen ihm für 7 Tage Bier: 52 Flaschen. Er darf, durch die Pflege kontrolliert, ein gewisses Mass trinken. Er erscheint aber immer noch depressiv und weiss nicht wie weiter. Er wird von einer Psychologin betreut (die wenig Zeit habe). Ziel ist, das T. seine, wahrscheinlich nur noch kurze, Lebenszeit unter guten Bedingungen verbringen darf und nicht draussen irgendwo auf einer Bank tot aufgefunden wird. Er hat Schulden. Gewisse Massnahmen zur Ordnung seiner Finanzen wurden getroffen, einige Zuständigkeiten geklärt. Kein Amt und keine Stelle würde sich um diese Menschen kümmern, wenn es nicht die Bahnhofsmission gäbe. Sie fallen aus dem sozialen Raster dieser Gesellschaft.
Bundeswehrkrankenhaus
Ein junger polnischer Mann kommt kurz vor Feierabend in die Bahnhofsmission. Er stöhnt vor Schmerzen und zeigt auf seinen linken Arm. Der ist ganz geschwollen und gerötet. Er spricht aber kein Deutsch und wir versuchen ihm zu erklären, dass er ins Bundeswehrkrankenhaus gehen sollte. Da er nicht begriff wo das sein könnte, habe ich ihn dann dahin begleitet. Sehr freundliche und speditive Aufnahme in der Notfallstation (die Ärzte in weisser Uniform mit Achselplatten).
Glauben an Gott
Ich spreche mit einem Gast, draussen an der Sonne. Wir kommen auf geistliche Dinge zu sprechen. Er brauche keinen Glauben an Gott. Sicher, etwas Höheres gäbe es schon. Aber das Christentum ist wie alle Religionen nur ein menschlicher Versuch, mit all dem klarzukommen. Er brauche keine Kirche die ihm vorschreibe wie er zu leben habe. Ich kann ihm annähernd etwas von dem sagen, was ich alles von Gott und meinem Glauben an Jesus habe. Wir werden dann unterbrochen. Aber ich denke: Mosaiksteinchen bilden ein ganzes Bild – heute hat er ein neues Steinchen erhalten.
Beten
Eine 17jährige Mitarbeiterin sagt als Witz, dass ich für sie beten soll. Ich gehe ernsthaft auf sie ein und frage sie für was ich denn konkret beten soll. Sie weiss es nicht so recht und sagt dann „für Glück“. Wir stehen am Spültrog und ich bete für sie und ihr „Glück“. Sie bedankt sich – leicht verstört und berührt.
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