Samstag, 19. April 2014
Freiheitsentzug
Die Geschichte prägt das Heute: Der fürsorgerliche Freiheitsentzug, den wir in der Schweiz kennen, gibt es so in Deutschland nicht. Während der Nazizeit wurde zur „Säuberung“ der Rasse und des Volkes ganzen Gruppen die Freiheit entzogen. So wurden geistig Kranke und auch körperlich Behinderte zuerst aus ihrer Umgebung genommen und dann vergast. (Quelle: Christoph Strohm, Die Kirchen im Dritten Reich, S. 92ff. Die Aktion T4 – Dienstsitz der Verantwortlichen war die Tiergartenstrasse 4 in Berlin – kostete ungefähr 70‘000 Menschen das Leben) Auch andere Normverstösse wie Vandalismus, Brandstiftung oder Beschädigungen von Eisenbahnanlagen konnten ab 1933 mit dem Tode bestraft werden. „Schutzhaft“ wurde schon bei Bagatelldelikten ausgesprochen. (Quelle: Maren Lorenz, Vandalismus als Alltagsphänomen, S. 76). Das wirkte sich auf die Gesetzgebung nach dem Krieg aus. Jetzt ist man sehr vorsichtig mit dem Freiheitsentzug – besonders wenn es um Krankheit oder Behinderung geht. So sind die deutschen Gesetze in Bezug auf zwanghafte Massnahmen sehr zurückhaltend. Eine Zwangsmassnahme kann praktisch nur dann erfolgen, wenn jemand das Leben von sich selber oder jemanden anders unmittelbar gefährdet. So wird die Polizei nicht einschreiten, wenn mir jemand verbal droht mich umzubringen. Es kommt offenbar nicht einmal zu einer Verhaftung, wenn jemand mit dem Messer bedroht wird. Erst wenn die Attacke/Verletzung erfolgt ist, kommt es zu Massnahmen. Die Menschen, die ich barfuss, in zerlumpten Kleidern mit Zuckungen und lästerlichem Rufen in den Bahnhöfen sehe, oder die Obdachlosen, die irgendwo mit einer oder mehreren Flaschen Alkohol neben sich mitten auf öffentlichen Plätzen schlafen - der Polizei ist es zwar möglich diese wegzuweisen, sie kann auch ein Hausverbot aussprechen. Mehr aber nicht. Manchen von ihnen wäre aber echt geholfen, wenn sie zwangsweise in eine psychiatrische Behandlung gebracht würden, um mit den nötigen Medikamenten einigermassen lebenswert aufgerichtet zu werden. Manchen von ihnen wäre auch echt geholfen, wenn sie zwangsweise medizinisch-körperlich behandelt werden könnten. Da ist als Beispiel der Mann, dem der Eiter aus beiden Füssen fliesst. Das könnte medizinisch behandelt werden. Und erfahrungsgemäss sind so behandelte – auch nach einer Zwangsmassnahme – dankbar und glücklicher als vorher. Natürlich ist das eine Gratwanderung. Man kann ja bekanntlich niemanden zum Glück zwingen. Und das ist auch gut so, weil wir ja keinen Konsens haben, was denn Glück wirklich ist. Aber da denke ich an unsere Jahreslosung: „Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ Da ist die Verkündigung des Evangeliums mehr wert und bringt mehr „Erfolg“ als jegliche Zwangsmassnahme. Dennoch, wenn ich obdachlos, mit Schmerzen und Angst dahinvegetiere bin ich kaum offen für solche Worte. Gott ist mir dann nahe – ganz sicher. Aber ob ich ihm nahe sein kann?
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