Dienstag, 22. April 2014

Notschlafstelle im Zelt


Im vergangenen Winter bis jetzt wurde am Innsbrucker Platz eine neuartige Notschlafstelle betrieben. In einem Zelt, das durch ein Warmluftgebläse mit etwas Überdruck aufgespannt ist, können die Obdachlosen an der Wärme und mit recht viel Platz in einer freundlichen Umgebung sich ausruhen. Wir durften mit einer Gruppe freiwilliger Helfer von der Stadtmission mitfahren und uns diese Notschlafstelle anschauen.

Berliner Zeitung 19.02.2014
Stadtmission Berlin Österreicher sponsert Zelt für Obdachlose

Von Julia Haak
Notunterkünfte für wohnungslose Menschen sind im Winter überfüllt. Jetzt bietet die Berliner Stadtmission in einer beheizten Traglufthalle 60 Betten zum Übernachten an. Die Kosten von 300.000 Euro bezahlt ein österreichischer Unternehmer.
Weiß, glatt und neu hebt sich die Traglufthalle von ihrer ramponierten Umgebung ab. Der ehemalige Güterbahnhof Wilmersdorf am Innsbrucker Platz ist ein zerstörter Ort: kaputte Fensterscheiben, eine verlassene Rampe, ein löchriges Gebäude. Davor steht seit einigen Tagen eine Halle, wie man sie von Messen kennt oder auch als Winterschutz für Tennisplätze und Schwimmbäder. In dieser hier schlafen Menschen. Seit Dienstagabend übernachten Obdachlose in dem aufgeblasenen Zelt. Die Berliner Stadtmission konnte durch die Spende eines Unternehmers an diesem Ort eine weitere Notunterkunft mit 60 Plätzen eröffnen.
Am Eingang muss jeder durch eine Drehtür. Dahinter ist es warm. Die Tür sorgt dafür, dass die Wärme und die Luft drinnenbleiben. Denn das Ganze funktioniert mit Überdruck. Der Luftdruck hat die 4500 Kilogramm schwere Zeltplane innerhalb von zwei Tagen neun Meter in die Höhe gehoben. Permanent wird weiter Luft hinein gepumpt, damit das so bleibt.
50.000 Euro für Grundstücksmiete und Betrieb
Der Mann, der das möglich gemacht hat, heißt Martin Richard Kristek. „Unternehmer“, steht auf seiner Visitenkarte und ein Spruch von Henry Ford: „A business that makes nothing but money is a poor business“, ein Geschäft, bei dem es nur um Geld geht, ist ein schlechtes Geschäft. So eines wollte der Österreicher Kristek wohl nicht führen. Also hat er für 250.000 Euro eine Halle gekauft und sie auf das Gelände des alten Güterbahnhofs gestellt, damit dort nun arme Menschen ohne Wohnung die Nacht verbringen können.
Das kostet Kristek weitere 50.000 Euro für Grundstücksmiete und Betrieb für die Saison. Zwei Techniker aus seinem Unternehmen betreuen die Halle rund um die Uhr. „Ich kann es mir leisten, also mache ich das einfach“, sagt Kristek. Er ist Inhaber des nicht unumstrittenen Hamburger Energie-Dienstleisters Care Energy. Über einen längeren Zeitraum hat er in der Hansestadt jeden Abend Suppe an Bedürftige ausgeteilt. Aber eine Traglufthalle als Notunterkunft, das hat vor ihm wohl noch keiner gemacht.
Der Stadtmission kommt diese unkomplizierte Art der Unterstützung gerade recht. Das Unternehmen der evangelischen Kirche betreibt die Halle. Bisher gibt es dafür keine öffentliche Finanzierung, aber vielleicht kommt das noch. 480 Notübernachtungsplätze hat Berlin. 100 davon bietet die Stadtmission am Hauptbahnhof an. Aber in den Wintermonaten stehen jeden Abend 150 bis 200 Menschen vor der Tür. „Wir weisen niemanden ab“, sagt der Direktor der Stadtmission Hans-Georg Filker, aber die Einrichtung am Hauptbahnhof sei seit Jahren an ihrer Kapazitätsgrenze. Bevor „jemand im Gebüsch vor sich hin verendet“, wie es Filker ausdrückt, wird eben zusammen gerückt.
Das ist in der Traglufthalle vorerst nicht nötig. 32 mal 34 Meter ist sie groß. 60 Feldbetten stehen darin. Mit Stellwänden haben Mitarbeiter Männer- und Frauenbereiche abgetrennt. Duschzeug liegt bereit, in einer Ecke steht ein Dusch- und Toilettencontainer. Acht Männer waren in der vergangenen Nacht bereits da.
Notübernachtungen sollen spartanisch sein
„Sie standen in der Warteschlange vor der Einrichtung an der Lehrter Straße am Hauptbahnhof. Wir haben gefragt, wer mit dem Kältebus hierher mitfahren will und diese wollten. Wir zwingen keinen“, sagt Ludwig Grünert, der das Projekt im Zelt oder der Wärmelufthalle, wie die Stadtmission dazu sagt, mit einem Kollegen leitet. Ehrenamtliche kommen dazu. Es wird Essen ausgegeben, Streit geschlichtet, nach Läusen gesucht und Krätze behandelt – ganz so wie auch an der Lehrter Straße.
Die Feldbetten stehen auf dem nackten Pflaster, aber der Wärme tut das keinen Abbruch. Ein surrendes Geräusch ist permanent zu hören. Das ist das Gebläse. Betrieben wird es mit Stromaggregaten. Geheizt wird mit Flüssiggas. Umweltverträglich und autark sei das, sagt Kristek. Die Technik misst Windstärke und Außentemperatur und regelt Luftdruck und Heizung dann allein.
Ob die Obdachlosen von soviel Hightech beeindruckt sind, kann man sie tagsüber nicht fragen. Wie auch in anderen Notunterkünften, müssen die Gäste morgens die Halle verlassen. „Notübernachtungen sind bewusst spartanisch gehalten. Es ist nur ein Schritt aus der Not heraus, in die Menschen geraten sind“, sagt Stadtmissionsdirektor Filker.

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