Christentum und helfende Berufe
Schmidbauer versucht sich in einer „Analyse der christlichen Religion und Sozialethik.“ Wobei er auch gleich einsichtig sagt, dass es ihm nicht möglich ist, die christliche Religion umfassend zu analysieren. (S.42)
Der erste Aspekt den Schmidbauer beleuchtet, ist die „Auffassung von der Erbsünde des Menschen. Der Mensch ist von Geburt an sündhaft, also schlecht, der Hölle verfallen, wenn er nicht durch die Gnadenmittel des Glaubens oder der Kirche errettet wird.“ Er sieht darin eine Parallele zum Kind, dem vermittelt wird, dass es noch nicht gut ist. Somit habe man ein dauerndes Schuldgefühl mit der Angst, zu versagen. „Das Gefühl, nicht wertvoll, nicht gut zu sein, wird vor allem durch Leistung bekämpft.“ Schmidbauer folgert daraus, dass hier die Motive für die „ausgeprägten kriegerischen Neigungen der christlichen Völker liegen. Dem kann ich nun nicht folgen. Zuerst widerspreche ich der Ansicht, dass die allgemein als "christlich" bezeichneten Völker mehr zu kriegerischen Handlungen neigen, als andere Völker. Dann liegt das Problem in der fehlenden Einsicht, dass es „christliche Völker“ bis dahin noch nicht gegeben hat. Sicher versuchte man immer wieder das Christentum (welches denn eigentlich?) als Leitkultur zu haben. Aber man hat kein Christentum ohne Christus. Und leider war und ist es noch immer so, dass die Menschen, die mit Jesus Christus wirklich verbunden sind, eine kleine, gesellschaftlich selten einflussreiche, Gruppe sind.
Die Idee, dass das Christentum die Industriekultur, den Fortschrittszwang, den Kolonialismus, das Wirtschaftswachstum und die Umweltzerstörung aus diesem „nicht genügen“ herbeigeführt habe, kann ich so auch nicht stehen lassen. Es ist wohl so, dass auf dem Hintergrund der christlichen Kultur solches wachsen konnte – aber injiziert wurde es von andern Kräften.
Der zweite Aspekt ist die Einsicht: „Das Christentum stellt ganz eindeutig altruistische Werte über egoistische.“ (S.43) Schmidbaur sagt: „Die Nächstenliebe wird gewissermassen auf dem Weg über den Selbsthass erreicht.“ (S.44). Das Zusammenwirken von Schuldgefühlen, Leistungsdenken und der Identifizierung mit der Gott befohlenen Nächstenliebe bewirkt ein wichtiges Stück der Dynamik des Helfer-Syndroms. (S.44).
Interessant Schmidbauers Bemerkung: “Die tätige Nächstenliebe, als Wahrnehmung der Interessen des Mitmenschen verstanden, darf im Bereich der körperlichen Versorgung wirken, während die seelische Hilfe den ethischen Normen der Religion vorbehalten bleibt.“ (S.45) „In der medizinischen Praxis selbst gilt das körperliche Leiden als seriös, der Kranke als schonungsbedürftig, des Mitleidens wert. Seelisch bedingte Störungen hingegen werden abgewertet, der Kranke erhält Aufforderungen, sich zusammenzunehmen, sich mehr anzustrengen, und büsst an sozialem Prestige ein.“ (S.45)
Für die Ärzte und für mich, der ich das auch kenne: „Die Identifizierung mit dem Über-Ich einer „wissenschaftlichen“ Tradition schützt das ich davor, seine Ohnmacht zu erleben.“ (S.47)
Seitenangaben zu: „Die hilflosen Helfer“ von Wolfgang Schmidbauer: „Über die seelische Problematik der helfenden Berufe“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 1980.
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