Samstag, 29. März 2014

Lasst mich's scheinen

Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge.
Kurt Marti

Irren im Suchen muss erlaubt sein. Wir sind nicht perfekt und wir werden es vorläufig auch nicht sein.
Wenn Goethe gesagt hat Lasst mich’s scheinen, dass ich’s werde!, hat er das (im gleichnamigen Lied) in Verbindung mit Sterben, Tod und Ewigkeit gemeint. Aber wie wäre es, wenn wir diesen Gedanken auch auf das Hier und Jetzt beziehen könnten? Darf ich mal scheinen ohne es zu sein? Aber doch mit der Absicht es zu werden! Im Lernprozess spiele ich doch oft mal was vor, bevor ich es dann erst werde und bin. Der Mechanikerlehrling trägt seine Überkleider oft viel stolzer, als der altgediente Mech, der wirklich Mechaniker ist.
So relativiere ich die Beurteilung, dass ich „Wasser predige und Wein trinke“. Sicher, machen das einige Menschen (vor allem Führungspersonen) auch ganz egoistisch und destruktiv. Aber es gibt eben auch den positiven Sachverhalt, indem ich vorläufig noch Wein trinke (trinken muss) und aber Wasser predige (predigen muss). Mit der Absicht dann auch (vielleicht doch gerade zusammen mit Euch) Wasser zu trinken. Ich fordere also verbal etwas, das ich (noch) nicht (ganz) lebe. Das kann man als heuchlerisch, lügenhaft und unglaubwürdig bezeichnen. Aber es kann auch ein nötiges Stück auf dem Weg des Lernprozesses sein.
Es ist dem Leben nicht dienlich, wenn wir immer nur das was vor Augen ist beurteilen und als definitives Ergebnis sehen. Alles ist doch vorläufig. Das was kommt, muss auch wieder eine Chance bekommen. So will ich dem Andern (und auch mir) zugestehen, dass wir uns verändern dürfen. G. Shaw: Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Mass, wenn er mich trifft. Im Gegensatz zu so vielen Menschen, die immer wieder die alten Massstäbe an mir anlegen, in der Meinung, sie passten noch heute.

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