Donnerstag, 26. Juni 2014

Gedenken an Kati


Sie war eine „Stammkundin“ am Zoo. Früher habe sie oft Lärm gemacht. Ich habe sie nur noch ruhig, etwas verlangsamt, kennengelernt. Gestern sprach ich noch mit ihr und sie bekam drei Kaffees von uns. Sie hat mir sogar ein kleines, wenn auch unbedeutendes Geheimnis anvertraut. Ihre Augen haben gestrahlt, sie war fröhlich und zufrieden. Seit Jahren krank. Vor ein paar Wochen wurde sie vor meinen Augen von einem Städtischen Bus vor die Bahnhofsmission gebracht. Da sie früher Busfahrerin war, hatte sie da offenbar spezielle Kontakte... Sie hat keine Angehörigen, die Bahnhofsmission schaut jetzt für eine würdige Beerdigung. Normalerweise wird die Urne eines Obdachlosen vom Friedhofsangestellten alleine und still begraben.
Heute ist folgender Artikel in der BZ (Berliner Zeitung) erschienen:

Obdachlosenszene
Gedenken an Kati B. vom Bahnhof Zoo
Die 49-Jährige lebte seit langer Zeit auf der Straße
Es ist vielleicht der kürzeste Satz, den sich über eine Tote sagen lässt, aber der wichtigste: Siefehlt. Kati B., die seit wohl 30 Jahren auf der Straße lebte, kannten die meisten Menschen am Bahnhof Zoo. Eine blonde Frau in schwer zu schätzendem Alter, erkennbar war sie von Weitem an der tiefen Stimme, mit der sie sich und anderen Geschichten erzählte. Mal ging es da um die großen Dinge des Lebens, mal gab es Streit. Oft war es Kati B., die vermittelte. Oder zur Schlichtung den Inhalt ihrer Schnapsflasche teilte. "Sie war sehr kameradschaftlich", sagt eine der wenigen anderen Frauen in der Obdachlosenszene am Bahnhof Zoo. Und noch etwas sagt sie: "Ich kann nicht glauben, dass sie nicht mehr da ist."
So geht es vielen. "Kati kam jeden Tag zu uns, wenn sie nicht im Krankenhaus war", sagt Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmission am Zoo. Seit Jahren bemühten sich die Helfer, für die schwer kranke Frau dauerhafte Hilfe zu finden. Kati B. lebte mit einem Blasenkatheter und entzündeten Beinen, schlief im Winter in Notunterkünften und im Sommer draußen – besonders für Frauen ein hartes Schicksal. Doch sie lehnte alle Hilfe ab, wie viele Menschen, die das Wichtigste im Leben verloren haben – den Glauben an sich selbst.
Wer Kati B. nach ihrem Leben fragte, erlebte eine intelligente Frau, die nüchtern von sich als einem Mädchen erzählte, das früh Alkohol trank. Die das Abitur trotzdem schaffte, das Medizinstudium nicht, und stattdessen Busfahrerin wurde. So erzählte sie es diesen Winter der Berliner Morgenpost. Nach Skandinavien reiste sie oft, nach dem Mauerfall kutschierte sie Touristen durch Berlin, bis sie ihren Beruf verlor. "Sie klagte nicht andere an, sondern war traurig über sich selbst", sagt eine Praktikantin der Bahnhofsmission, "dafür mochte man sie."
Kati B. starb in der Nacht zu Dienstag am S-Bahnhof Olympiastadion auf einer Bank an Gleis eins, allein. Sicherheitsleute fanden sie morgens, sie glaubten, sie schliefe. Wie viele Menschen auf Berlins Straßen leben und auch dort sterben, wird statistisch nicht erhoben. Berichtet wird darüber meist nur im Winter. Die meisten, sagt Dieter Puhl, sterben zu anderen Jahreszeiten. Vor der Bahnhofsmission erinnern im "Gedenkbaum" acht Bändchen an verstorbene Gäste. Für Kati B. wird nun das neunte aufgehängt. Sie alle, sagt Dieter Puhl, werden uns fehlen.

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