Mittwoch, 28. Mai 2014

Montagsdemo


In Berlin gibt es täglich irgendwelche Demonstrationen – mindestens 300 pro Jahr. Es gibt sogar ein eigens dafür zuständiges Amt, das diese Demonstrationen koordiniert. Im Alltag von Berlin sind sie aber kaum je ein Thema. Vielleicht geht jemand mal bewusst hin. Meistens läuft man zufälligerweise an eine heran. Vor allem beim Brandenburger Tor wird täglich für oder gegen etwas demonstriert. An die Anti-AKW-Demo vor zwei Wochen bin ich auch zufälligerweise herangelaufen. Von den neuen Montagsdemos hatte ich bis dahin noch nie gehört. Aus der Schweiz bekam ich den Tipp. Eine kleine Internetrecherche im Voraus sagt mir: Demo gegen Harz IV, für den Frieden, gegen Faschismus, gegen Zinsen, gegen den Weltkapitalismus, da vor allem gegen Amerika, gegen die russische Ukrainepolitik, für Freiheit, Warnung vor Verschwörungen aller Art, Klänge von Antisemitismus, Stimmen von rechts und links, Ausdruck von Unzufriedenheit, gegen die Überwachungsmachenschaften von Geheimdiensten, gegen die etablierte Presse, gegen einseitigen Journalismus, gegen Politiker, gegen Parteien, Aufruf zum Wahlboykott und noch einiges mehr. Die neuen Montagsdemos profitieren vom guten Ruf der alten Montagsdemos. Diese waren 1989 und 1990 ein wichtiges Instrument von DDR-Bürgern um gegen die DDR-Herrschaft zu demonstrieren. Die neuen Montagsdemos scheinen nun aber wenig Profil zu haben und ich bin etwas ratlos, was sie wollen. Darum gehe ich mal schauen (wenn ich schon so nahe daran wohne).
Ich war etwa eine halbe Stunde vor dem Brandenburger Tor. Die Demo lief schon fast eine Stunde. Es waren vielleicht 1000 Leute da. Ein bunt gemischtes Volk. Die Stimmung ruhig, fröhlich und manchmal auch ernst. Ansprachen wechselten mit Musik. Heute war ein 21-jähriger Rapper da. Ein Refrain aus seinen Texten gibt eine der vorherrschenden Haltungen glaube ich gut wieder: „Die wollen uns alle verarschen!“ Was echt gut war, war das Gedicht von Wolfgang Borchert „Dann gibt es nur eins!“. Das Gedicht wurde von einer Frau vorgetragen, die auf ihrem T-Short folgendes geschrieben hat: „Art. 1 GG“. Artikel 1 des Grundgesetzes: „
Im Gedicht kommt unter anderem folgende Aussage: „Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ Das nehm ich doch mal für mich. Am Schluss des Gedichtes betonte sie dann aber auch das, wozu sie JA sagt: „Ich sage ja zu den allgemeinen Menschenrechten. Artikel 1 unseres Grundgesetzes liegt mir am Herzen. Ich schlage vor, dass wir uns alle das Grundgesetz besorgen und es um 12.00 Uhr am Dienstag – wo wir auch sind – hochhalten und sagen: Das nehmen wir ernst!“. Hier der Artikel 1 des Grundgesetzes: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht“.
Eine andere Rednerin sagte Dinge wie: „Die Andern hassen was ist, wir lieben was noch nicht ist.“ „Glück kostet mich nicht viel. Es ist ein Lächeln – lächelt euch an – die kürzeste Distanz zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln.“ Dann kommt ein Gedicht von ihr: „… es nimmt dir das Licht, es nimmt dir die Sicht.“ Ein Schamane hantiert neben dem Zelt etwas mit Ästen und Bildern – er hört auf jeden Fall nicht den Redner zu. Plakate werden hochgehalten: „Stoppt die Kriegstreiber“. Sportlich gekleidete Leute halten blaue Ballone mit der weissen Picasso-Friedenstaube in den Händen. Manche sitzen einfach da. Andere spielen mit ihren Kindern. Einige Ordnungshüter stehen am Rande und noch mehr am Rande steht ein Polizeiwagen. Die Polizisten gelangweilt herumsitzend. Ein älterer Mann spricht mit ihnen – ich höre: „Wir müssen euch bezahlen, dass ihr rumstehen müsst.“ Der Polizist nickt. Auf der andern Seite des Brandenburger Tors eine zweite Demo. Ein Banner und einer mit einem Megaphon: Er beruft sich auf Artikel 146 des Deutschen Grundgesetzes: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Soviel ich mitbekomme, ist er vor allem mit der Politik Deutschlands mit Russland unzufrieden. Aber ihm hört kaum jemand zu. Ab und zu bleiben Touristen stehen und einer macht sogar eine Foto.

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