Mittwoch, 21. Mai 2014
Stasiakte
M. erzählt mir, dass er aus Neugierde nach seinen Stasiakten fragen liess. Nach etlicher Zeit bekam er tatsächlich Bescheid. Als ihm die Akte zum Lesen vorgelegt wurde, hatte er eine Betreuerin zur Seite. Zuerst habe er gedacht, dass er die sicher nicht brauche. Aber als ihm die umfangreiche Akte (zuerst mal 60 Seiten, später kamen noch mehr dazu) vorgelegt wurde und er darin las, war er froh, dass jemand hier war, mit dem er sprechen konnte. Er war völlig überrascht und durcheinander. Seit seinem 12ten Lebensjahr wurde er beobachtet. Er weiss heute noch nicht warum. Alle andern Familienangehörigen haben keine Akten. Für die späteren Jahre hat er Erklärungsversuche bereit: Er ist nicht in die Partei eingetreten, hat bei einer parteilinientreuen Zeitung gearbeitet, wollte in der Armee als Schriftsetzer arbeiten. Er wurde von zwei Freunden denunziert, die in den Akten Geschichten gegen ihn erzählten, die erfunden waren. Er hat diese „Freunde“ danach kontaktiert und gefragt, warum sie das so gemacht haben. Aus Angst. Weil sie Geld bekommen hatten. Einen dritten Spitzel kannte er nicht. Es waren Dinge registriert, die recht intim waren, die aber völlig harmlos und nichtssagend sind, wie: „8 Uhr 35. Eine junge Frau schaut aus seinem Küchenfenster hinaus.“ Oder „Kommt vermutlich von der Arbeit nach Hause.“ Er bekam dann eine Kopie seiner Akten. Sie hätten in der DDR gar nichts anderes als dieses Leben gekannt. Erst nach dem Mauerfall habe er erkannt, in was für einem Gefängnis er gelebt habe.
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